Die erste Nachkriegskonzertreise des AOM
erzählt von Carl Schneider
Nachdem sich das Akkordeon-Orchester Mainz nach dem zweiten Weltkrieg wieder zusammengefunden und spielerisch zu einer guten Leistung aufgerappelt hatte, kam ich auf die Idee, beim Ortsvorsteher
in Confeld im Schwarzwälder Hochwald (Saargebiet) anzufragen, ob wir dort ein Konzert mit anschließendem bunten Mainzer Teil durchführen könnten. Ich war bei Kriegsbeginn einer in Confeld liegenden
Heeres-Einheit zugeteilt worden und hatte dort während des zehnmonatigen Aufenthaltes gute Freundschaft zu vielen Familien geschlossen. Das AOM stellte keine finanziellen Forderungen für den
Auftritt, es bat nur um Kost und Logie. In der mehr als kargen Nachkriegszeit waren "Naturalien" - sprich Brot, Butter, Eier, Fleisch und Wurst - die kaum aufzutreibenden, aber heiß begehrten
Wunschartikel.
Und siehe da, es kam ein Brief mit der Einladung, aber auch mit der Bedingung, daß wir 11 Spieler von Mainz 05 mitbringen sollten, um ein nachmittägliches Fußballspiel gegen die kombinierte
Mannschaft von Confeld und den Nachbarort Steinberg auszutragen. Auch für die Fußballer winkten Lebensmittel! Die Aussicht darauf ließ unseren Vorsitzenden Karl Köchy keine Ruhe und er schlug vor,
selbst eine Mannschaft aufzustellen. Mit ihr sollte bis zur Fahrt zweimal pro Woche trainiert werden. Gesagt, getan: Wir kriegten elf Mann zusammen und betrieben die Sache hart und ehrlich, stets
angefeuert von den Mitspielerinnen des Orchesters.
Aufgrund seiner kriminalpolizeilichen Schnuffelnase entdeckte Karl Köchy in der Zwischenzeit noch einen letzten fahrtüchtigen Bus, der in Ingelheim stand. Wir machten also mit dem Bushalter einen
Vertrag, leider aber ohne die französische Militärregierung, denn die beschlagnahmte die schon etwas alterschwache Karre sechs Wochen vor unserem Start! Jetzt war guter Rat teuer, doch unser Mitglied
Abi Thiele hatte eine Firma mit Lastwagen in der Mombachen Straße entdeckt, die auch bereit war, uns zu fahren, jedoch mit der Auflage, daß wir mindestens 120 Liter Sprit besorgen müßten. Da
sprach Willi Hofem, Vorstandsmitglied, von seinen Kontakten zu holländichen Schiffseignern, und er und Karl Köchy ruderten per Rheinkahn zu den ankernden Booten. Sie kamen mit dem Angebot zurück: Ein
Kanister Diesel gegen fünf Flaschen Wein.
Nun war Wein neben Zigaretten eines der höchst dotierten Tauschobjekte (im damaligen Jargon: Quantelkram), und was niemand glauben wollte, wir knapp über zwanzig Orchestermitglieder schafften es in
einer Woche, 30 Flaschen Wein einzutauschen. Die damit erworbene Menge Diesel erhielt der Lastwagenfahrer und stellte dann fest, daß die schlitzohrigen holländischen Schiffer nicht in jedem Falle
reell waren, denn sie hatten den ein oder anderen Kanister zu drei Vierteln mit Wasser und darüber einen Rest Treibstoff gefüllt. Trotzem schafften wir das nötige Quantum und so rollte am Tag der
Abreise, es war ein Samstag, pünktlich um 8 Uhr Ecke Sarrstraße und Binger Schlag der bestellte LKW an.
Als er jedoch zum Laden auf den Bürgersteig fuhr, brach ihm die rechte Hinterachse. Wieder sanken alle Hoffnungen auf Essen und Trinken, aber der Fahrer tröstete uns und versicherte, einen anderen
Lastwagen zu holen, sprach´s und verschwand. Unsere Geduld wurde auf die Folter gespannt. Sechs Stunden später kam er dann doch noch mit einem anderen Gefährt an, dessen Fahrer uns aber erklärte, daß
er uns nur hin, aber nicht zurück fahren könne. Wir räumten die Sitzbänke um, und nun war uns schon alles egal, irgendwie würden wir schon zurückkommen.
Als wir nun gerade starten wollten, winkte uns ein junger Mann auf der Saarstraße zu und frug, ob er ein Stück mitkommen dürfe. Die Universität war gerade eröffnet worden und er hatte sich zum
Studium einschreiben lassen. Als er von uns erfuhr, daß wir in das ihm sicher unbekannte Confeld fahren würden, stürtzte erst er und dann wir aus allen Wolken. Er war der Sohn des Wirtes vom Saalbau
Wiesen in Confeld, in dem unser Konzert stattfinden sollte. Das war der Zufall der Zufälle, denn nun hatten wir gleich einen kundigen Lotsen, und natürlich mußte er auf dem Beifahrersitz platz
nehmen.
Auf der holprigen Fahrt die Nahe entlang zog Karl Köchy plötzlich und geheimnisvoll ein Schreiben aus der Tasche, das sich vor meinen Augen als die Absage des Konzertes und die Ausladung unseres
Orchesters entpuppte. Er steckte es wieder weg, kniff ein Auge zu und hielt den Zeigefingen vor den Mund, und ich verstand sofort seine Geste. Im Tohuwabohu dieser Zeit kamen Briefe nicht an, und
Telegramme wanderten die unmöglichsten Wege. So konnte auch dieses einfach zu spät angekommen sein, und genau beim nächsten Halt stand dies als Köchy´s Strategie fest. Hunger und der Traum von Essen
und Trinken ließ uns die tollsten Entschlüsse fassen.
So kamen wir dann bei Einbruch der Dunkelheit in Confeld an und hielten am Haus des Ortsvorstehers, des Malermeisters Görgen. Er stürtzte vor die Tür und sein erstes Wort war: "Ja, han Ih dann nit
mei Telegramm erhall´ ?", worauf Karl Köchy mit tiefster Bestürzung spach:"Was fer Telegramm?" "Dat Telegramm lo mit der Absag´!" Das aber hatte sich anscheinend in Luft aufgelöst, und nun waren wir
einmal da, und der Ortsvorsteher zeigte sich als gewandter Organisator. Seine Familie schwärmte aus und zitierte eine große Gruppe Sportler herbei, die auf seine Anweisung hin im Ort auf
Quartiersuche ging. Eine Stunde später waren wir alle unter und aßen gebackene Eier mit Schinken, Butterbrote und Wurst und tranken Vilz oder gequantelten schwarzen Tee mit echtem Zucker. Das war die
Aufregung schon Wert gewesen.
Der nächste Morgen brachte uns allen große Überraschungen. Es gab Kuchen. Vom Streuselkuchen bis zum Baumkuchen war alles da. Wir schwelgten und bremsten erst, als uns gesagt wurde, daß der
Ortspfarrer das von 15 bis 17 Uhr angesetzte Fußballspiel nicht erlauben würde, weil er zur gleichen Zeit den gewohnten sonntäglichen Nachmittagsgottesdienst halten wolle. Wir bildeten daraufhin eine
Mainz-Confelder Verhandlungskommision und zogen zum Pfarrhaus. Auf Grund unseres Fahrtberichtes und eindringlicher Argumentationen erlebten wir höchstpersönlich, wie auch einem Pfarrer eine
Erleuchtung eingegeben wurde. Er erklärte sich plötzlich bereit, ausnahmnsweise den Gottesdient auf zwei Uhr vorzuverlegen, wenn wir dies den Ortsbewohnern zur Kenntnis brächten. Das geschah
natürlich , und so konnten wir nach einem opulenten Mittagessen mit allem Drum und Dran pünktlich zum Fußballspiel um 15 Uhr auflaufen.
Otto Laufersweiler und Karl Köchy trugen über ihrer Sportkleidung irgendwo geliehene Bademäntel und sahen darin aus, wie Boxer der Schwergewichtsklasse, jedoch beim Ablegen schälten sich nur vage
Striche in der Landschaft heraus. Dahingegen standen wir einer Eingeborenenmannschaft gegenüber, von denen jeder aussah, wie "Wieland, der Schmied". Ich selbst mußte das Tor hüten und hatte mir
mangels echter Knieschützer Mullbinden um die Beine gewickelt. Zur Freude aller Anwesenden erschien sogar der Herr Pfarrer zu diesem ortsgeschichtlich wichtigen Spiel, und dann konnte es
losgehen.
Es wurde ein harter Kampf in der ersten Halbzeit und nach 5 Minuten stand es schon 1:0 für Confeld, weil mein Verteidiger umgewalzt wurde, und ich den Effet-Schuß eines muskelbepackten Dorf-Stars
nicht halten konnte. Confeld dröhnte vor Jubel, und selbst der Herr Pfarrer winkte mit seinem Hut. Es ging so weiter, und als ich mir die aufgegangene Mullbinde, die mir im Tor wie ein Bandwurm
nachflatterte, wieder ums rechte Knie wickeln wollte, schoß man mir hinterhältig das fünfte Tor ins linke Eck. Otto Laufersweiler erzielte dann nach einer rein zufällig gelungenen Vorlage von Benno
Meyer unser Ehrentor. In der zweiten Halbzeit hatten wir unsere Gegner soweit in der Hand, daß sie, durch Lachen geschüttelt, nurmehr noch zwei Tore schießen konnten, so daß unser Match 7:1 für
Confeld ausging.
So wurde dieses Spiel zu einer eindringlichen Werbung für unsere Abendveranstaltung, denn wiele sagten uns:"So viel hun Eich schun lang net mehr gelacht, dat muß schei wern heit owend lo, lo gehn
Eich hie!" Und so wurde der Saalbau Wiesen gerammelt voll, und wir konzertierten - wiederum über die Maßen gesättigt - mit viel Beifall. Der bunte zweite Teil mit Musik, Vorträgen, Zwiegesprächen und
letztendlich dem "Mainzer Lied" ließ Hochstimmung aufkommen, und der ganze Saal stand beim Schunkeln auf den Stühlen. Der Ortsvorsteher ließ uns in seiner Begeisterung nun wissen, daß er für die
Rückfahrt am nächsten Morgen einen Lastwagen organisiert hätte, der uns nach Wadern an den Bahnhof bringen sollte, wo wir einen Arbeiterzug nach Saarbrücken bekämen, um von dort wieder nach Mainz zu
fahren.
Wieder wurde großartig gefrühstückt, und dann ging es zum Treff zum Marktplatz. Der LKW stand bereit, aber es zeigte sich, daß nach dem Aufsitzen unserer Damen und dem Verstauen der Instrumente auf
der kleinen Pritsche kein Platz mehr für uns Männer war. So kam der Blitzentschluß, die Mädchen fahren, wir Männer laufen nach Wadern. Wir verabschiedeten uns von den Gastgebern, die uns jede Menge
Verpflegung zugestopft hatten, und starteten teils per Auto, teils zu Fuß. Der Fußmarsch entwickelte sich zum Gewaltmarsch, denn die Kilometer zogen sich, und als wir in Wadern ankamen, war zwar der
Bahnhof noch da, der Zug aber weg.
Jetzt zählte Karl Köchy erst noch einmal die Gruppe durch, weil wir ja den in ein paar Stunden erwarteten Zug nach Saarbrücken nehmen wollten. Da stellte er fest, daß wir eine Person weniger waren,
als bei der Herfahrt. Benno Mayer hatte es zuerst entdeckt:"Herr Köchy, Ihre Fraa fehlt!" Tatsächlich, Karl Köchy hatte im Trubel des Abmarsches nicht daran gedacht, daß seine Frau noch im Quartier
saß, wo sie seine Anweisungen abwarten sollte. Ein Anruf vom Bahhofsvorstand Wadern beim Ortsvorsteher von Confeld brachte die Abmachung, daß Frau Köchy mit dem Arbeiterbus, der die
Nachmittagsschicht in die Zeche Saarbrücken fahre, zum Bahnhof gebracht werden würde, wo wir ja selbst mit dem Zug aus Wadern eintreffen sollten.
Und tatsächlich, Karl und Hilde schlossen sich am Saarbrückener Hauptbahnhof am Nachmittag wieder in die Arme, wobei noch gesagt werden muß, daß sie viel früher da war als wir. Am Spätnachmittag fuhr
dann ein Zug ab nach Mainz, und wir stiegen in einen lädierten, aber noch mit allen Fensterscheiben versehenen Waggon ein. Wie waren wir erstaunt über dessen Innenleben: Es gab weder Abteil, noch Tür
oder Sitzbänke. Aber "Spielringler" waren schon immer ideenreich. Wir hatten ja unsere Koffer zum sitzen, und auch die Heizungsverschalungen reichten für einen kleinen Po. Dann hatten wir ja auch
unsere Instrumente, um Musik zu machen, und so tanzte unsere Jugend von Saarbrücken bis Mainz. Damit fällt auch hier dem AOM das Erstlingsrecht zu, Urheber des "1. Tanz-Express" der Bundesbahn
gewesen zu sein.
Angemerkt sollte noch werden, daß sich unser heißhungriger Spieler Abi Thiele beim Verzehr eines dreifach belegten Schinkenbrotes im Zug so ungeschickt in den Mittelfingen biß, daß er für einige
Orchesterproben ausfiel. Die Fahrt wurde mit Begeisterung auf dem noch sehr lädierten Mainzer Hauptbahnhof abgeschlossen, und für unsere nächste Fastnachts-Veranstaltung schrieb Orchestermitglied
Willy Dietrich das gemeinsam gesungene Lied "Die Fahrt nach Confeld".